6. Februar 2023

Biomarker zur personalisierten und frühzeitigen Erkennung einer möglichen Progression von Multipler Sklerose setzen neue Massstäbe für die Behandlung von betroffenen Patientinnen und Patienten. Die Forschungsgruppe von Jens Kuhle liefert dafür weitere wegweisende Erkenntnisse.


In ihrer neuesten, im Fachjournal JAMA Neurology veröffentlichten Studie zeigen die Forschenden, dass die im Blut messbaren Werte des «Glial fibrillary acidic protein (GFAP)» grosses Potential als prognostischer Biomarker für die Progression der Multiplen Sklerose (MS) haben. GFAP ist ein Zytoskelett-Protein, das vor allem für Astrozyten spezifisch ist. Diese bilden die Mehrheit der Gliazellen im zentralen Nervensystem und spielen eine zentrale Rolle bei neurodegenerativen Prozessen und damit auch bei der fortschreitenden Behinderung, mit der die Mehrheit der MS-Betroffenen konfrontiert ist. Der Blutwert von GFAP steigt als Folge einer Aktivierung von Astrozyten oder dann, wenn deren Abbau erhöht ist. Erhöhte GFAP-Blutwerte, so die Studie, zeigen eine bestehende Krankheitsprogression an und sind auch mit zukünftiger Krankheitsprogression assoziiert. Dafür werden GFAP-Blutwerte kaum vom Ausmass akuter Entzündungsprozesse beeinflusst.


Der Einsatz von Biomarkern ändert die klinische Praxis

Mit der Etablierung des Biomarkers «Neurofilament light chain (NfL)» als standardisierten und einfach im Blut messbaren Marker für neuronale Schädigung wurden erst kürzlich bessere Voraussetzungen für präzisere und personalisierte Therapieentscheidungen gesetzt. Arbeiten aus der Forschungsgruppe Jens Kuhle, die im vergangenen März im Fachjournal The Lancet Neurology publiziert wurden, zeigten, dass ein Teil der MS-Betroffenen mit scheinbar stabilem Krankheitsverlauf hohe NfL-Blutwerte aufwies. Diese Personen hatten eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, im Folgejahr auch erhöhte klinische und bildgebende Krankheitsaktivität zu entwickeln. Da NfL also frühzeitig und sensitiv Krankheitsaktivität voraussagt, können diese Patientinnen und Patienten nun zielgerichteter und vorausschauend therapiert werden.


Das Verständnis für die Krankheitsmechanismen wird stets grösser

GFAP als Blutmarker bei MS ist deshalb so interessant, weil es im Vergleich zu NfL in einen anderen Aspekt der komplexen Pathophysiologie von MS blicken lässt: Während erhöhte NfL-Blutwerte auf neuronale Schädigungen hinweisen, zeigt der neue Biomarker GFAP spezifisch chronische Krankheitsprozesse an, in denen Astrozyten die Hauptrolle spielen und die zu fortschreitender Behinderung führen. GFAP und NfL ergänzen sich somit gegenseitig in ihrem Potential das Patientenmanagement bei MS stets individueller und vorausschauender gestalten zu können. Solche Ergebnisse der Biomarker-Forschung bringen sowohl die Möglichkeiten beim Therapiemonitoring und bei der Prognosestellung sowie die Forschung in diesem Bereich um einen grossen Schritt weiter.


Die Datengrundlage

Die Schweizerische MS-Kohorte, die seit 2012 von Basel aus initiiert und geleitet wird, bildet für derartige Biomarker-Forschung auch im internationalen Quervergleich einzigartige Voraussetzungen. SMSC ist die Grundlage für eine der international vollständigsten Datenbanken für klinische Forschung zu MS und umfasst Daten von über 1’600 Patientinnen und Patienten aus 8 Schweizer Zentren. Sie dokumentiert Informationen von über 13’000 Visiten und knapp 1'000 Krankheitsschüben und umfasst rund 8’000 standardisierte und evaluierte MRI-Untersuchungen.